Geschüttelt, nicht gerührt.Die neuen Arbeiten von Thorsten Zwinger. 1. „Violett Violett“, so heißt das Bild. Ins Auge aber springt ein knisterndes, gleißendes, entfesseltes Rosa. Es prangt zwischen Bahnen aus Schwarz und Weiß. Ein edler Grauton dahinter für milde Anhaftung. Das alles auf unrein durchsottener Leinwand, roh und naturbelassen. Ein coloristisches Ereignis von irritierender Abseitigkeit, wie Pefferminz-Eis auf Ackerscholle. Warm und Kalt haben hier als Farbwesen Krieg. Und der drängt alle anderen Fragen in eine einzige zusammen: Was ist das? Aus dem Zentrum nach unten gerutscht und durch keinerlei Bildgerüst festgehalten, schwillt eine beulige, an den Rändern unscharfe Eiform in die Fläche und teilt sich in mehrere Schichten, als ob sie den rauhen Untergrund mit ihrer frostigen Glätte kränken wollte. Das Motiv würde wie ein Gewebeschnitt oder wie ein miskroskopischer Zellteilungsvorgang anmuten, käme nicht am unteren Innenrand so etwas wie eine Gebirgsformation zum Vorschein, deren Horizontlinie sich oben wieder schließt. Eine Landschaft, die aussieht, als wäre sie im Fokus eines Instruments von seltsamer Bestimmung optisch verzerrt worden, um den Himmel zu umfangen. Sie schwappt träge hin und her wie etwas Unaussprechliches am Flaschengrund, geschüttelt, nicht gerührt. 2. Oder „Harry’s Gold“ 1 oder 2. Der Bildhintergrund
ist knallrosa durchgezogen von etwas, das unpassend fröhlich: „Pink“ heißt.
Blondinenfarbe und Babyklapper. Es umhüllt flach und kompakt eine
zentral angeordnete Haufenform, deren Weichheit mit sich selber spielt.
Flüssige und reuelos vorankommende Striche umschreiben hier etwas
Unfestes, das zu keinerlei erfreulichen Assoziationen einlädt
und trotzdem elegant aussieht. Ist das ein Haufen? Oder ein Berg? Oder
durchdringen sich da sitzende Figuren, deren Silhouette effektvoll
ausgleitet in einem Arrangement – von welcher Zugeneigtheit eigentlich?
Die Bildanlage würde von ferne an chinesische Pinselzeichnungen
oder an Illustrationen des Jugendstils erinnern, wenn man sich nicht
auch noch fragen müßte,
was die Stilanklänge mit dem Motiv zu tun hätten? 3. „Das wahrhaft ‚Neue’ ist abschreckend, weil es anormal und irrational ist. Häßlichkeit ist nicht weniger selten als Schönheit. Das wahrhaft ‚Neue’ ist das Unbekannte, das nicht Erkennbare, das Chaos, die Häßlichkeit. Die Häßlichkeit nimmt ab oder verlagert sich in dem Maße, wie unser Wissen zunimmt; genauso verhält es sich mit der Schönheit. Nichts ist perfekt außer auf den ersten Blick.“ Das schrieb der dänische Maler und Theoretiker Asger Jorn vor 50 Jahren. Und er folgerte aus dieser Gewißheit: „Wenn man einem Kunstwerk vorwirft, daß es unverständlich sei, dann wirft man ihm vor, daß es ein Kunstwerk ist“. 4. Damit ist gesagt, daß einem Kunstwerk etwas zu eigen sein
muß,
das dem Betrachter fremd bleibt und darum sein Interesse weckt. Man
kann es eine Sensation nennen, eine Provokation, eine Lüge, was
Provokationen ja nicht immer sind, einen Rest an Undurchdringlichkeit
oder den Ausschlag eines Wahns. Ganz egal. Klar jedenfalls ist, daß das
Vorhersehbare zwar manchmal angenehm ist, weil es Vertrautheit herstellt,
zugleich aber die Wurzel aller Langeweile bildet. Sie macht den Hauptbestandteil
unseres Lebens aus, weshalb wir es oft nicht bemerken - nicht der Zwang
ist es ja, der sie bewirkt, sondern seine ewige Wiederkehr. Nicht die
Kunst, sondern das Uniformierte ihres schwärmerischen Vorreitertums.
Nicht der Spiegel an der Wand, sondern daß man jeden Morgen wieder
sich selbst darin sieht, verkehrt herum, und das für richtig hält.
Gewohnheit ist demnach nicht das Problem. Das Problem ist die Irritation,
mit der wir ihre Unterbrechung zur Kenntnis nehmen. 5. Was sich fast lustig anhört, ist es nicht. Der Druck auf den Künstler kommt von innen und außen und droht ihn zu zerreißen. Er muß mit der Frage nach dem Ziel seines Tuns innerlich fertigwerden und sich gleichzeitig bemühen, nach außen kenntlich zu bleiben. Vorausgesetzt, es gelingt ihm, innerhalb des Betriebssystems zwischen öffentlicher Förderung, festangestellter Ehefrau und privatem Kunstmarkt sein Leben durch unsicheren Produktverkauf zu erhalten. Die Verklärungen des Künstlerdaseins durch Bohème, Einsiedlertum, Hungern für Geist, Attitüden der Antibürgerlichkeit mit Absinth und Lumpenjackett sind mit den Ismen zu jener Legende geworden, die sie immer waren und bilden keinerlei Produktionswirklichkeit mehr ab. Denn der „Künstler ist jetzt vollständig in die Gesellschaft integriert“. Das schreibt ausgerechnet der kühnste aller Außenseiter, Marcel Duchamp, und fügt, kristallin wie er ist, hinzu: „Durch ihre enge Verknüpfung mit dem Gesetz von Angebot und Nachfrage sind die visuellen Künste eine „commodity“ (also eine Ware) geworden: das Kunstwerk ist jetzt ein gangbares Produkt wie die Seife und die „securities“. Nicht Mission und spiritistische Anwandlung zwischen Intuition und Sittenverachtung, nicht der Mythos vom Sonderkreativen und der Glaube an das voraussetzungslos Wertvolle eines mangelhaften Gebrauchswertes, den ein Kunstwerk nun einmal darstellt, nicht der kitschverdorbene Überbau also macht den Künstler frei. Frei macht ihn, sich von diesen klebrigen Vorstellungen zu lösen und die eigene Durchsetzungsfähigkeit ungetrübt ins Auge zu fassen. Charakterlich gesehen, verlangt das neben Risikobereitschaft einen kühlen Kopf, Illusionsvermeidung, abgefeimte Vermarktungsstrategien, ästhetische Kalkulation und Rechnungswesen. Geistig gesehen, verlangt das neben einer gewissen Empfindsamkeit gegenüber dem schon Dagewesenen auch den Respekt vor schon gewonnenen Lösungen. Das Publikum hat selbst den Unterhaltungswert aber schon wieder einer Subversion längst begriffen. Und Abstraktion? Sie findet sich in jedem Hotelzimmer und ist in allen ihren Facetten weithin akzeptiert, wenn nicht sogar gewünscht. So sehr, daß sich neuerdings selbst die Experten darüber wundern, warum plötzlich wieder Figuren gemalt werden und damit auch noch ein Haufen Geld verdient werden kann. Provokationen aus den Sprachwelten der Kunstideologie, hier Abstraktion und Fortschritt, dort Reaktion und Gegenständlichkeit, sind an der Unersättlichkeit des Marktes gescheitert und ihrerseits zu Leitbildern der Langweiligkeit heruntergekommen. Es ist immer alles schon da, tonnenweise, wändeweise. 6. Das ist gut so, weil es den Künstler auf seine eigentliche Aufgabe zurückdrängt. Er muß sich wieder Gedanken machen, bevor er ausstellt. Er kann nicht mehr einfach mit der alten Leier kommen: Was ich hier mache, ist zwar nicht neu, aber so sensibel. Glaubt man den Kunstschreibern, visioniert heute jeder, aber eben einer wie der andere. Wenn das so ist, dann ist es auch keine Frage der theoretischen Anstrengung mehr, sondern schon eine des Gewissens, jenes Neue finden, von dem Asger Jorn sprach. Wenn nicht für die Weltkunst, dann jedenfalls für sich. Die Schwierigkeit eben ist: Was neu ist, wird zunächst unverständlich sein. Es trotzdem zu wagen, hieße darauf zu vertrauen, daß das Häßliche das Schöne wird, wenn es verstanden wurde. Dieses Verständnis herzustellen, ist wiederum nicht die Aufgabe des Künstlers, sondern seiner Kunst. Das ist ein feiner Unterschied, der beachtet sein will, weil der Zusammenhang so oft mißverstanden wird. Darum sind auch all die Exegeten in eigener Sache so lästig. Was Künstler erzählen, ist vollkommen gleichgültig. Denn was sie sagen, ist nicht unbedingt gesagt. Was sie getan haben und ob das einen Sinn hat, erweist sich allein durch das Werk, also durch die Zurichtung des Publikums, das es erreicht. Das hat nichts mit mehr Provokation zu tun, sondern mit dem Erwirken von anhaltender Aufmerksamkeit, dem A und O einer Wirkung. Das neue Häßliche wird schön, wenn es einen zweiten Blick herausfordert. Man könnte auch sagen: Das, was den zweiten Blick erfordert, wird etwas Neues sein. Soviel dazu, warum ein grelles Pink zu meiner Lieblingsfarbe werden konnte, nachdem ich seit vier Jahren verfolge, was es bei Thorsten Zwinger so Neues gibt. 7. Wer die Werkentwicklung von Thorsten Zwinger kennt, weiß,
daß er
sich selbst erst einmal unverständlich werden mußte, um
zu diesem Rosa zu kommen. Er hatte als sein eigener Betrachter auch
den eigenen zweiten Blick erst zu ermöglichen, um Härte zu
gewinnen. Seine Veranlagung für Schönfarbigkeit, Harmonie
und Wohlklang, die am Anfang seines Schaffens sofort hervortrat, stand
ihm am Ende im Wege. Er brauchte sich und die Textur seiner Bilder
nur zu variieren, um erfolgreich zu verkaufen wie eh und je und dennoch
unzufrieden zu sein. Er spürte, daß die Verfahren, die er
gewonnen hatte, um zu einem Bild zu kommen, für ihn bald gesichert
waren, also abgearbeitet, also ästhetisch erledigt, also langweilig.
Immer dann jedoch drohen Kunstgewerbe und Ehemaligkeit. Bevor es soweit
kam, beendete Zwinger diese Phase mit dem ersten Katalog. 8. Über der Tür stand ein Satz: „Keine gefühlten Striche
mehr!“ Der gefühlte Strich ist ein Irrtum, der sich aus der
Modernerezeption des Ostens ergab, aber seinerseits in der historischen
Defensive versank. Gefühlter Strich hieß für die Anschauung:
Letzte Bewahrung von Kreatürlichkeit für geistige Humanreservate
- klassischer Blickfang, gemocht wie verbraucht. In der Praxis lief er
auf die Redlichkeit mühevollen Handwerks hinaus. Aber dem Anspruch
mangelte es an Frohsinn und an der Inspiration durch Verfehlung. Das
Fühlige verkümmerte ja längst in der ästhetischen
Nullform ungegenständlichen Hochwertdekors - von Franfurt Oder bis
Frankfurt Main. Das mußte endgültig weg. 9. Rosa. Seit zwei Jahren malt Zwinger, wohin es ihn immer drängte,
ohne Hemmung, verzweifelt, impulsgesteuert. Er wollte radikal schöne
Farben, unverschämte, also auch ungebrochen eigene und darin eigentliche,
lieber kranke Bilder als heile, lieber das blühende Scharlachrot
vom Bruchrand eines Geschwüres als ein sphärisches Raunen
in lauter lauteren Zeichen. Ein Klima der Erfrorenheit, des ungezügelten
Vertrauens in die Spannkraft von Chaos und Irrsinn, eine Atmosphäre
ungezügelter Freiheit vor gehabten Ausdrucksereignissen. Und so
kam Schwung in die Sache. Diese Bilder haben Luft, Transparenz, Herausgehobenheit,
den noblen Strich des Willentlichen, dazu den Glanz jenes Kaltschmelzes,
den Zwinger an der „Fontaine“ von Duchamp bewundert, weil
er die Unausdenklichkeit dieser Skulpturalform liebt. Ein tiefes Kohlschwarz
und ein Marzipanton dazu, das Leuchten von Schlüpfer und Strumpfband
in der Natur eines abgesoffenen Goldockers, Nuttenhain an blauer Grotte,
Fleisch und Geist, Ekel und Schneidigkeit, kein Halbgefühl, keine
Lauheit, nichts Abgedachtes. Das hinterwärts grundierte Leinen
- edle Kehrseite -, nicht Träger, sondern Gegenstand einer Malerei,
die Erhabenheit will, also Unberührbarkeit, also nicht das Hergebrachte. 10. „Oxytocyn“. So heißt ein prachtvolles Bild, das mich
lange bewegt. Eigentlich macht der Titel nichts. Titel sind bei Zwinger
Nebengeräusch und Irreführung. Sie sind die Tonspur zu einem
anderen Film, der im selben Kino läuft. Sie sind Teil des Ziels,
die motivische Offenheit, um die es geht, nicht mit Erklärung und
Erhellung klein zu reden. Fragt man dennoch, ist Oxytocyn ein Hormon,
das bei extremen Gefühlszuständen ausgestoßen wird, eine
Innigkeitsdroge aus der eigenen Säfteproduktion. Man nennt es deshalb
auch den „Botenstoff der Nähe“. Diese poetische Zeile
geht zu allem und nichts, klingt aber fremd genug, um den Gedankensprüngen
freie Bahn zu schaffen. Und so kann man beim Betrachten dieses Bildes
zwar auch das metaphorische Leitbild bemühen. Weiter führt
es aber, sich auf die Untiefen bewußtloser Bildfindung einzulassen.
Ich hebe das hervor, weil dieses Bild ungewollt noch einmal zusammenzufassen
scheint, was Zwinger seit 20 Jahren auf diesen und jenen Wegen gesucht
hat. Man findet alles wieder, die Strichelung in der Binnenform, den
Schwung weiter Linienbögen, die Reinheit von Großflächen
in den Abstufungen delikater Untertöne, Durchlässigkeit und
Verdichtung, Eleganz und Reibung, Leuchten und Glanz. Und doch ist etwas
daraus geworden, das dieses Herkommen auch wieder vergessen macht und
sich zu neuer Berechtigung erhebt. Der „Stoff der Nähe“ umschreibt
ein Wohlgefühl, das unseren Organismus bis an die Ränder durchdringt.
Aber er will über sich hinaus und bleibt unwillkürlich - wie
dieses Bild. Es reagiert auf eine Wirklichkeit, die sich aus den Perspektivwechseln
der Betrachtung immer wieder anders zu erkennen gibt. Landschaft, Grabhügel,
Einschluß, Meer, Horizont und Himmel könnten auch ein dermatologisches
Schaubild persiflieren und ein pathologisches Ikon von einiger Grausamkeit
sein, oder sie könnten mit den Höhen und Tälern weicher
Umrisse auch als Hommage an die asiatische Holzschnittkunst des 19. Jahrhunderts
gelesen werden, mit deren Rezeption jene Moderne ja begann, die wir heute
zugrabe tragen. 11. Thorsten Zwinger hat sich mit seinen neuen Bildern, den Skulpturen,
den Fotosequenzen einen geistigen Raum von größerer Reichweite
und unerhörter Spielfreude geöffnet und sich dabei völlig
gelöst aus dem Bann vermeintlicher Zuständigkeiten, die hier
angedeutet sind. Er hat sich neben der Malerei Möglichkeiten erarbeitet,
die auf den verschiedenen Instrumenten der Ausdrucksgewinnung zwischen
Grauen und Heiterkeit, extremer Zuspitzung und Gelassenheit, Angstlosigkeit
und Schönheit alles zulassen, was ihm die antrainierten Hemmungen
abraten. In diesen Glasphiolen blitzen Alchimistengeist und OP-Bereitschaft,
Schwerkraftprobleme und organoides Pumpen, das Zarte, fast Immaterielle
einer zerbrechlichen Hülle und die gestörte Allansichtigkeit
eines lichtfangenden Körpers. Wenn man hindurchschaut, erkennt
man die Welt nicht wieder. So ließe sich Kunst definieren. In
den Fotografien spült sich unser ganzes Filmgedächtnis aus.
Man begegnet wie in Nachbildern vorbeihuschenden Helden, Idolen, Liebesszenen,
Mord und Totschlag, der Zauber eines Frauenknies im Stillstand unscharfer
Aufgehaltenheit, flimmernde Elektronik als Rockmusik – das alles
kommt im achtlos angepinnten Zustand von Dachlatte und Baumarkt nieder,
um einen Staketenwald zu bilden voller informationsgeladener Blätter,
die nie gemalt zu werden brauchten. Ein ikonografisches Auffanglager
für stundenlanges
Staunen, Zeigen, Erinnern und Träumen aus der Dichte einsamer
Schnappschüsse.
In den Gemälden schließlich wird das alles auf den kleinsten
Nenner gebracht durch die Entleerung der Motive, durch die Spannkraft
tödlich leckerer Farben, die ihrerseits die Analogie zu den anderen
Teilen der Werkgruppen herstellen und sie in die Aura hellster Verfügungsfreiheit
tauchen. Es funkelt aus allen Ecken, so daß eine Galeriepräsentation
zur Schwierigkeit wird, weil man eigentlich das Chaos des Ateliers
brauchte, um einen angemessenen Eindruck vom durchgehenden Impuls dieser
sinnlichen Mulitiplizität zu bekommen, die einen auch deshalb
mitnimmt, weil sie einen aus den mitgebrachten Wohnzimmern stößt. Berlin, 15. August 2006 Michael Freitag |
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