1  |   Essay  

Im Milieu der Leere

Es gibt eine Malerei der Anschauung und eine Malerei als Anschauung. Die erste war Konsens vom 15. Jahrhundert bis zur Durchsetzung der Moderne. Sie setzte antithetisch die Malerei als Anschauung durch, das heißt Malerei vergegenwärtigte nicht mehr irgendein Sehen, sondern sie vergegenständlichte ihr Sein. Es ging nicht mehr um ein Motiv oder Genre, sondern um das Medium in seiner Selbstbedeutsamkeit. Die objektivierenden Erlösungsideen der Konzepte und Strategien blieben der Schwerkraft des Alten verbunden, solange sie das Alte bekämpften. Die Postmoderne zeigte, dass die eine oder die andere Prämisse keinen Sinn mehr hatte.

Für die Malerei der Gegenwart ergibt sich daraus ein neuer Konsens. Es ist der einer enthistorisierten Gesamtperspektive, die alles Gewesene und alles Kommende als Möglichkeit einschließt. Das ist langweilig. Auch deshalb, weil es auf nichts mehr ankommt. Künstler stehen nicht mehr für Richtungen, sondern für Marktsegmente. Das ist aufregend, weil dem Betrachter dadurch die Zuständigkeit seines Urteils zurückgegeben ist. Er hat ein Recht zu wählen, was ihm aus welchen Gründen auch immer gefällt. Das gilt für die Maler genauso.

Einer den wenigen, die das begriffen haben, ist Thorsten Zwinger. Er hat das Illusionslose seiner Lage von Anfang an zur Grundlage seiner Arbeit gemacht. Das würde er in solch bündigen Sätzen nicht behaupten. Aber ihn beherrscht ein maßloses Grauen vor dem, was früher der schöne Lappen, ein gediegen ausgemaltes Knie oder eine atmosphärische Szene gewesen wären, von subtil ausgetüftelten Farbfeldkonzepten nicht zu reden. Was Augen beschäftigen kann, fotografiert er – vom TV – und befestigt die Surrogate in Briefmarkengröße auf Baumarktstangen. So ergeben sie den undeutlichen Film eines Traums oder einer Erinnerung, auch an die der traditionellen Malerei: Porträt, Stilleben, Landschaft gebrochen in die Bildform von etwas Vorgeschaffenem.

Wenn er malt, schaltet er den Willen solch einer Zielvorstellung wieder aus. Malen, aber keine Malerei. Nirgendwo der Vordergrund einer Absicht. Flächen, kalt, unter oder über Schwüngen, die Linien ergeben, aber keine Zeichen sind. Sie tragen Farben in ein Milieu der Leere. Tiefenlos, diaphan, ein Status der Transparenz, des Nirgendwo, des Schwebens, das man auch als ein Dehnen oder als Ausbreitung lesen könnte, wenn es nicht immer noch der Leinwand und den Keilrahmen verfallen bliebe, um als Malerei zu gelten.

Was soll’s. Zwinger lässt das so stehen. Er legt über das Nichts einen Glanz, um zu etwas zu kommen, das man das Wenigste nennen könnte. Ausschläge ins Blau, zum Magenta, zur pfirsichfarbenen Geste, die ein Antrag auf einen Gedanken ist. Aber er stellt sich nicht ein. Das Gläserne, Glaciale des Fonds erzeugt eine abweisende Oberfläche, jenen notwendigen Abstand, der eine Gegenregung erzeugt – auch wenn es die Verlockung des Frostes oder des Ekels wäre. So eignet dieser Klarheit auch eine Unschuld, eine Zartheit, die entwaffnet.
Selbst die Begriffe.

1. Oktober 2014

Michael Freitag

    
Colour in the milieu of emptiness

There is painting of things contemplated and there is painting as contemplation. The former was the accepted norm from the 15th century until the arrival of modernism. Antithetically, modernism asserted painting as contemplation, meaning that painting no longer presented a specific way of seeing but rendered its own being in object form. What mattered was no longer a motif or genre, but the medium itself in its inherent meaningfulness. The ideas of redemption in the concepts and strategies remained attached to the gravity of the old as long as they were combating the old. Postmodernism showed that certain of these premises no longer possessed meaning.

For painting today, this has resulted in a new consensus – that of a dehistoricized overall perspective that includes all that has gone before and all that is yet to come as possibility. Which is boring. Not least because nothing matters anymore. Artists no longer stand for directions, but for market segments. Which is exciting, because it makes viewers responsible for their judgements again. They have a right to choose what they like, for whatever reason. And the same applies for painters.

One of the few artists to have grasped this is Thorsten Zwinger. From the outset, he took his lack of illusions as the basis of his work. He wouldn’t state it in such concise terms, but he has a boundless horror of what would once have been the beautiful cloth, a tastefully rendered knee or an atmospheric scene, not to mention subtle colour field concepts. What might occupy the eye, he photographs – from the TV – and fixes these surrogates as stamp-sized prints onto ordinary roofing laths. In this way, they add up to the blurred film of a dream or memory, including the memory of traditional painting: portrait, still life, landscape, broken into the pictorial form of something prefabricated.

When he paints, he switches off any such will to an objective. Paint, but no painting. Nowhere intentions in the foreground. Planes, cold, under or over sweeps that make lines without signifying. They carry colours into a milieu of emptiness. Depthless, diaphanous, a state of transparency, of the void, of floating, that could also be read as expansive, if only it didn’t remain enslaved to canvas and stretcher in order to count as painting.

Whatever. Zwinger leaves it like that, laying a shimmer over the void in order to arrive at something that could be called The Least. Tipping into blue, into magenta, into a peach-coloured gesture that courts a thought. But the thought won’t be courted. The glassy, glacial quality of the ground forms a repellent surface, creating the distance required to generate a counter-impulse – even if it is the appeal of frost or revulsion. Such clarity also possesses a disarming innocence and tenderness – disarming even concepts.

1 October 2014

Michael Freitag